Warum Zürich West als Thema für die Masterthesis?
Mit den Entscheidungen über das Projekt Ensemble am Hardturm und über den Rückbau der MAAG Halle scheinen zwei der letzten größeren Bausteine in Zürich West gesetzt zu sein. Die beiden Projekte zeigen symbolisch, wie kontrovers die Diskussion über den Städtebau in Zürich West stets geführt wurde. Drei Jahrzehnte sind seit Beginn der Transformation vom Industrie- in ein Trendquartier vergangen. Unserer Ansicht nach ist es Zeit, um innezuhalten und über den Tellerrand hinauszublicken. Was ist gelungen? Was weniger? Wie weit ist die Kontroverse und allenfalls auch Kritik gerechtfertigt? Und vor allem: Wie kann man Zürich West weiterentwickeln und dem Quartier mehr Lebensqualität einhauchen – obwohl es scheinbar schon zu einem großen Teil fertig gebaut ist?
Ein Leitbild für eine Lebenswerte Stadt
Die oben genannten Fragen spiegeln wir in unserer Masterthesis an allgemeingültigen Überlegungen über den Städtebau des 21. Jahrhunderts. Ausgangspunkt unserer Überlegungen sind verschiedene Studienprojekte und Seminararbeiten aus dem Master-Studiengang Urbanistik – Landschaft und Stadt an der TU München, in denen wir uns z.B. mit Zukunftstrends, Klimawandel oder mentaler Gesundheit beschäftigt haben. Die verschiedenen Gedanken dazu haben wir in einem Leitbild zusammengeführt. Das „Leitbild der Lebenswerten Stadt“ dient somit als Orientierung in der Beurteilung des Gebauten sowie als theoretische Zielvorstellung für unser Konzept, beziehungsweise für den städtebaulichen Entwurf.
Ein Konzeptansatz mit sechs Zielen für Zürich West und Altstetten Nord
Das Konzept, welches die Basis für den städtebaulichen Entwurf unserer Masterarbeit bildet, beinhaltet neben der räumlich-morphologischen Skizze die folgenden sechs Ziele:
- Zürich West und Altstetten Nord sollen zu einem Stadtteil zusammengeführt werden
- Der Wohnanteil soll deutlich erhöht werden, die Nutzungen Wohnen und Arbeiten sollen mehr durchmischt werden
- Es braucht eine höhere soziale Durchmischung
- Die autogerechten Stadtstrukturen sollen zurückgebaut werden
- Die Stadt soll begrünt werden
Der städtebauliche Entwurf
Der städtebauliche Entwurf ist aktuell in Bearbeitung und wird Mitte September fertiggestellt. Zwischenstände werden auf dieser Website veröffentlicht.
Das Leitbild der Lebenswerten Stadt ist allgemeingültig. Demzufolge wurde es nicht nur explizit für Zürich West entwickelt, sondern spiegelt unsere allgemeinen Überlegungen zum Städtebau des 21. Jahrhunderts wider.
Die gesellschaftlich engagierte Stadt
In der Lebenswerten Stadt lebt eine engagierte Bevölkerung. Genossenschaftliche Strukturen sind das städtebauliche Rückgrat dieses Engagements. Da flexible Arbeitsplätze in Zukunft eine noch viel größere Rolle spielen werden, besteht die neu gebaute Stadt nicht nur aus Wohngenossenschaften, sondern auch vermehrt aus Arbeitsgenossenschaften – z.B. Co-Working-Spaces in der näheren Umgebung der wohnenden Bevölkerung. Zu einer gesellschaftlich engagierten Bevölkerung gehört auch, dass sie stark an der städtebaulichen Entwicklung partizipiert. Sharing-Konzepte, z.B. für Mobilität, Arbeitsplätze oder gemeinschaftlich genutzte Einrichtungen, gehören ebenfalls zu dieser engagierten Gesellschaft.
Die ökologische Stadt
Die ökologische Stadt ist bezüglich ihrer Energieversorgung weitestgehend autark. Lebensmittelproduktion in der Stadt gewinnt ebenfalls an Bedeutung. Durch eine urbane Begrünung sowie durch Durchlüftungsstrategien besteht in der ökologischen Stadt ein angenehmes Klima. Dieses neue urbane Grün führt auch zu einer höheren Biodiversität in der Stadt. Da sich Sharing-Konzepte auch auf die Mobilität auswirken, wird der private Fahrzeugbesitz an Bedeutung verlieren, bzw. entsprechende Abstellplätze werden nicht mehr realisiert (Loslösung von der autogerechten Stadt!). Entlang den übergeordneten Straßen verkehren in Zukunft Trambahnen, Busse und autonome Kleinfahrzeuge; alle übrigen städtischen Freiräume fungieren überwiegend als öffentlicher Raum, wo sich der Fuß- und Fahrradverkehr sowie Fahrzeuge der Mikromobilität bewegen.
Die ausgewogene Stadt
Stadt ist die nutzungsdurchmischte und auch sozialdurchmischte Stadt. Durch eine Pluralität in der Morphologie sowie auch durch eine klare Fragmentierung und Strukturierung des öffentlichen Raums besteht eine Ausgewogenheit in Bezug auf Reiz- und Rückzugsorte sowie auf urbane Dichte und urbane Weite.
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Das bestehende Zürich West sowie auch das Quartier Altstetten Nord haben wir unter anderem durch die Spaziergangwissenschaft mit einer Serie von Raumbildern betrachtet. Dies geschieht nach dem Vorbild der Promenadologie, die für die vorliegende Arbeit zugeschnitten wurde (nach Lucius Burckhardt).
Ziel der Promenadologie ist es, zu zeigen, wo sich unserer Wahrnehmung nach, räumliche und funktionale Qualitäten und Defizite befinden. Diese Beurteilung ist stets subjektiv. Unsere Eindrücke der Umwelt, also ein Gebilde unserer Empfindung, wird immer auch durch Vorwissen eines Raumes mitbestimmt.
Die abgebildeten Raumbilder zeigen ein Wechselspiel mit verschiedenen urbanen Qualitäten. Städtische Reizorte im negativen Sinne, wie z.B. der Autobahnausläufer in Altstetten Nord, sind genauso vorfindbar, wie grüne Rückzugsorte z.B. die Sportanlage Hardhof, die wenig Bezug zur Stadt aufweisen. Auf der positiven Seite finden wir aber auch lebendige Reizorte z.B. unter der Hardbrücke sowie auch ansprechende Rückzugsorte in Arealen, in denen die Pluralität der Morphologie raumprägend ist.
Neben der Promenadologie haben wir viele weitere Aspekte von Zürich West und Altstetten Nord analysiert und in unserem Booklet dokumentiert.
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Aufbauend auf den Erkenntnissen aus der Analyse haben wir sechs Ziele definiert.
Die Stadt soll zusammengeführt werden
Altstetten Nord und Zürich West gehören zusammen. Dort, wo das neue Hardturmstadion gebaut wird, wo die Stadt plötzlich abreißt/abbricht, sollen die beiden Quartiere zu einem Stadtteil zusammengeführt werden.
Der Wohnanteil soll deutlich erhöht werden, die Nutzungen Wohnen und Arbeiten sollen mehr durchmischt werden
In Zürich West sowie auch in Altstetten Nord ist die moderne Funktionstrennung vielerorts stark spürbar. In neu gebauten Stadtstrukturen sollen die Nutzungen Wohnen und Arbeiten deutlich mehr durchmischt werden. Generell ist der Wohnanteil zu erhöhen.
Es braucht eine höhere soziale Durchmischung
Ein Fokus bei der Entwicklung einer höheren sozialen Durchmischung soll auf der Realisierung von Wohngenossenschaften mit entsprechenden Nachhaltigkeitskonzepten liegen
Es braucht mehr flexible Arbeitsplätze
Flexible und auf Sharing ausgerichtete Arbeitsplätze fehlen in Zürich West fast gänzlich. Arbeitsgenossenschaften, die sich auch mit den oben beschriebenen Wohngenossenschaften kombinieren lassen, sollen dies befördern.
Die autogerechten Stadtstrukturen sollen zurückgebaut werden
Dies betrifft insbesondere den Autobahnausläufer in Altstetten Nord, der zu einer mehrspurigen Stadtstraße umgebaut werden soll.
Die Stadt soll begrünt werden
Zürich West und Altstetten Nord sind heute die am meisten versiegelten und somit im Sommer auch heißesten Quartiere der Stadt Zürich. Eine Stadtbegrünung soll nicht nur das Mikroklima verbessern, sondern auch die Artenvielfalt fördern.
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Das vorliegende Konzept zeigt, wie sich Zürich West und Altstetten Nord nach unseren Vorstellungen entwickeln könnte. Diese Vorstellungen sind als ein Zwischenstand zu verstehen, den wir aktuell weiterentwickeln und im städtebaulichen Entwurf festigen.
Zürich West und Altstetten Nord werden zu einem Stadtteil verbunden. Dies wird einerseits über die Weiterführung der bestehenden Energielinien, die vom Stadtzentrum in das Planungsgebiet führen und andererseits mittels des Rückbaus der Autobahn erreicht. Neu geschaffene Zentralitäten im Raum um das Hardturmstadion bilden den städtebaulichen Trittstein dieses Zusammenschlusses.
Zusätzlich wird im gesamten Stadtteil der Wohnanteil erhöht, die Funktionen durchmischt, die soziale Durchmischung verbessert und neue flexible Arbeitsplatzstrukturen geschaffen. Die Basis für diese neuen Strukturen bilden Wohn- und Arbeitsgenossenschaften. Weiter wird der gesamte Stadtteil zur Verbesserung des Mikroklimas und der Artenvielfalt sowie für die urbane Lebensmittelproduktion begrünt. Durch die Reduktion des privaten Fahrzeugbesitzes wird das untergeordnete Straßennetz sukzessive zurückgebaut und zu attraktiven öffentlichen Stadträumen umfunktioniert. Der öffentliche Verkehr und auf „Sharing“ basierende Kleinfahrzeuge verkehren entlang dem übergeordneten Straßennetz.
Der neu gebildete Stadtteil bleibt analog zu Zürich West ein Ort in dem neue und innovative Architektur- und Städtebaukonzepte getestet werden können. Die Typologien bleiben vielseitig und die morphologische Struktur entsprechend divers. Die Arealgrößen werden gegenüber den bestehenden Strukturen in Zürich West jedoch kleinteiliger. So wird die Konnektivität des öffentlichen Raums verbessert und die Stadt feinmaschiger vernetzt.
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Morphologie
Die neu geschaffene städtebauliche Situation fügt sich, speziell im großmaßstäblichen Kontext, harmonisch in die bestehende Stadtstruktur ein. Durch die diversen Hochpunkte und die einzelnen Hochhäuser knüpft der Entwurf an die bestehende plurale Morphologie der beiden Stadtquartiere an und führt die Stadtsilhouette in einheitlicher, doch poröser Form weiter. Der aufgelöste Block schafft den Sprung von der großmaßstäblichen Setzung des Bestands hin zu feinkörnigeren Strukturen, ohne dabei das Prinzip der Pluralität der Morphologie zu konterkarieren.
Im Vergleich zum Bestand bilden sich jedoch auch bewusst gesetzte Kontraste. Beispielswiese im Gebiet Förrlibuckstrasse, wo im Gegensatz zu den vorhandenen großmaßstäblichen Gewerbebauten, feinkörnige und nutzungsdurchmischte Strukturen geschaffen werden oder auch südlich der Berner Allee in Altstetten Nord, wo die neuen aufgelösten Blöcke signalisieren, dass hier in Zukunft auch gewohnt werden soll.

Zentralitäten
Das Projekt Ensemble, welches sich nach der heutigen Planungsabsicht am Stadtrand befindet, findet sich durch unsere Entwurfsidee inmitten der Stadt wieder. Durch die Ergänzung eines Schulhausbaus zwischen Stadion und Hochhäusern, einer Eventhalle nördlich der Hochhäuser, größerer Gewerbebauten und durch die Verknüpfung der unterschiedlichen Mobilitätsträger, wird hier eine neue Zentralität geschaffen. Urbane Sichtbeziehungen, z.B. auf die Ensemble-Hochhäuser oder andere Hochpunkte sowie das Zusammenführen und bewusste Brechen von Achsen rund um den Hardturmplatz, schaffen eine spannende städtebauliche Gliederung des neuen Zentrums Hardturm.
Das bestehende Zentrum Altstetten wird nördlich der Geleise und ausgehend vom Vulkanplatz erweitert. Zu dieser Zentrumsbildung gehören Nutzungen, wie der Hochschulcampus Altstetten und das FOGO Areal, welches durch eine offene Blockstruktur eingefasst wird. Der Vulkanplatz wird durch einen Pavillon mit einem Café ergänzt, der die Verbindung zum Hochschulcampus über die Berner Allee und dem fließenden Raum unter der Europabrücke als attraktiven Trittstein stärkt.

Öffentlicher Raum, Freiraum und Begrünung
Durch die aufgelöste Blockstruktur wird eine klare Zonierung des öffentlichen Raums geschaffen; die öffentlichen Erdgeschosse aktivieren diesen. Plätze mit unterschiedlichen Größen und Nutzungen bilden die Trittsteine im öffentlichen Raum. Durch die Auflösung der Blöcke wird die im bestehenden Zürich West vorherrschende Insularität der Areale aufgebrochen. Der Limmatpark schöpft sein Potenzial als Naherholungsgebiet neu aus und trägt die Landschaft über den Depotpark bis in das Gleisfeld hinein. Die beachtliche Stadtkante südlich des Limmatparks symbolisiert das Zusammenspiel von urbanem Leben und dem Element Wasser. Im Unterschied zu heute wird der öffentliche Stadtraum stark begrünt und wenn immer möglich, mit hellen sickerfähigen Belägen wie Kiesflächen, gestaltet. Fassaden und Dächer werden ebenfalls begrünt und zur urbanen Lebensmittelproduktion, zur Energiegewinnung oder als Gemeinschaftsflächen genutzt.

Umstrukturierung und urbane Energielinie Förrlibuckstrasse
Ab dem Turbinenplatz und entlang der Förrlibuckstrasse entsteht eine Abfolge an Plätzen, in deren Zentrum der Förrlibuckplatz liegt. Hier wird zur Raumbildung die Stadtachse gebrochen und die freiwerdende Fläche des ehemaligen Parkhauses als multifunktionaler Raum für kleine gastronomische Einrichtungen oder kleinere Verkaufsläden genutzt. Weiter soll der Förrlibuckplatz den urbanen Charakter unter dem Hardturmviadukt durch städtische Freizeitnutzungen, wie z.B. einem Skatepark oder einer Kletterwand ergänzen. Der Förrlibuckplatz wird bis zu einem gewissen Punkt durch die Stadt entwickelt und gesteuert, wo aber auch private Institutionen und Vereine die Voraussetzung finden, selbständig urbanes Leben entstehen zu lassen. Ausgehend vom neuen Förrlibuckplatz entsteht eine Situation, die nicht nur mit dem Eingangsbereich der Toni-Molkerei und der Pfingstweidstrasse in Kontakt tritt, sondern auch die öffentliche Dachfläche auf .
